Samstag, 5. September 2015

Zur Erinnerung an Ieng Thirith

Zur Erinnerung an Ieng Thirith
(10. März 1932 – 22. August 2015)


Jan Myrdal
4. September 2015


Aus dem Schwedischen: Einar Schlereth
Pol Pot und Ieng Thirith nehmen ein Plakat von Gun Kessle und Jan Myrdals Angkor-Ausstellung als Gabe vom Schwedischen Solidaritätskomitee entgegen.

Im Neuen Deutschland vom 27/28. August 2015 lese ich, dass Ieng Thirith tot ist. Sie war fünf Jahre jünger als ich und sie starb, bevor sie 83 Jahre alt wurde.

Wie so viele meiner Jugendfreunde und anderer Kameraden aus verschiedenen Ländern verbrachte sie die letzten Jahre ihres Lebens im Dunkel und Demens. Die Reihen der Kameraden lichten sich immer mehr, je älter man wird.


Neues Deutschland schrieb, dass sie die mächtigste Frau unter „den Roten Khmer“ war, wie sie genannt wurden. Ja, sie gehörte zum ursprünglichen Kern und ist von Anfang an aktiv gewesen (was erklärt, dass sie mit Ieng Sary verheiratet und Schwägerin von Pol Pot war). Sie könnte mit Lenin gesagt haben: „Wir marschierten in einer kleinen Schar auf einem steilen und mühevollen Weg und hielten einander fest an den Händen. Wir waren umgeben von Feinden auf allen Seiten und wir mussten fast immer unter deren Feuer marschieren.“

Neues Deutschland schreibt in ihrem Nekrolog über Thirith jedoch nur, dass sie in jenem Staat, der zwei oder drei Millionen Menschen ums Leben brachte, Sozialminister war, was ihren Mangel an menschlichen Gefühlen beweist.

Nun ja, dieses Obrigkeits-dienliche, übliche Bild von dem Demokratischen Kambodscha und damit von den Kräften, die im Eigeninteresse das Bild verbreitet haben, schrieb ich schon früher. Wie ich auch über den milleniaristischen Versuch schrieb, trotz der Massenmorde der USA und der Intrigen von Kambodschas traditionellen Feinden aus dem Elend der Bauern ein Reich der Gerechtigkeit zu schaffen.

Die Wortwahl stört, denn sie scheint in das englische 14. Jahrhundert zu gehören, ist aber absichtlich gewählt, da die verschiedenen Völker der Welt nicht im selben Takt gehen.

Ich kannte sie. Mochte sie gerne, denn sie war fähig und ein aufrichtiger Kamerad. Ich habe verschiedene Szenen in Erinnerung. Ich glaube, es war in Kampong Cham, als wir die traditionelle Medizin diskutierten. Nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern die Blockade zwang das Demokratische Kambodscha zu versuchen, die traditionelle Medizin zu nutzen. Man war dabei, Kräuter-Ballen zu laden/löschen von einem Flussboot. Thirith zeigte auf ihre Tochter, die zu der Mannschaft gehörte: „Sie will sich mit Heilkunst beschäftigen.“

Sie war ein typischer Kamerad. Sie und ich und Gun Kessle reisten durch Japan, um Solidarität mit dem Volk Kambodschas zu wecken. Wir redeten nicht nur. Sie war ja ein Kamerad. Als ich gerade auf das Podium gehen wollte, riss meine Hose (ich hatte sie in Chicago gekauft, als ich von meinem ersten Besuch im Guerilla-Gebiet 1979 zurückkam.), denn die Naht war dünn geworden. Gun und ich hatten weder Nadel noch Faden dabei. Aber Thirith lachte und sagte: „Überflüssig, das Hotelpersonal zu belästigen. Ich reise immer mit meinem Nähkästchen.“ Dann nähte sie meine Hose zusammen.

Im Guerilla-Gebiet Kambodschas herrschte nach dem vietnamesischen Angriff die schwerste Form Malaria. Junge Soldaten lagen in Schweiß gebadet schlotternd in ihren Hängematten. Thirith fragte, ob es nicht möglich wäre, internationale Hilfe zu bekommen, da diese Malaria eine Gemeingefahr war.

Aber sie sprach auch davon, wie die Vietnamesen zur Zeit des Demokratischen Kambodscha den Geheimdienst unterwandert hatten. „Auch ich und meine Schwester (verheiratet mit Pol Pot) wurden bedroht. Das war eine schwere Situation.“ Sie schlug vor, dass ich versuchen sollte, die Erlaubnis zu erhalten, in den von Vietnam besetzten Teil Kambodschas zu kommen. „Besuche alle Orte, wo du 1967 und 1987 warst. Schau dich genau um. Höre auf alles, was man erzählt. Du brauchst nicht zu widersprechen. Nur zuhören. Komm dann hierher und ich und die anderen Genossen können dir unser Bild geben. Wenn du das tust, kannst du einen wertvollen Beitrag schreiben.“

Aber als das
Svenska Dagbladet ein Visum beantragte, damit ich das durchführen könnte, war die Antwort von Hanoi nur: „Nicht Jan Myrdal. Er ist ein Feind.“ Was etwas eigenartig war, denn 1967, nachdem ich auf Einladung Sihanouks in Kambodscha gewesen war, gaben mir die vietnamesischen Delegaten in Havanna ein Aluminium-Stück von einem US-Bomber mit einer Inschrift für mich und meine Freundschaft und meine Solidaritätsarbeit mit dem vietnamesischen Volk.

Nach der Umstellung und der Auflösung des Demokratischen Kambodscha, als sie und Jeng Sary in einer Art halben Legalität in Phnom Penh wohnten, war ich in Japan. Durch die japanischen Genossen, die enge Verbindungen dorthin hatten, schrieb ich an Thirith und schlug vor, dass ich hinkommen würde, um mit ihr und anderen alten Freunden zu sprechen und zu schreiben. Sie antwortete auf Englisch (sie war ja Englisch-Lehrerin gewesen): „A friend in need is a friend indeed.“ (Ein Freund in Not ist ein wahrer Freund.)

Aber sie meinte, dass es für mich noch zu gefährlich wäre. Ich sollte mich daran erinnern, dass Malcolm Caldwell [der auch mein Freund war. D. Ü.] von Agenten Vietnams in dem Zimmer ermordet wurde, in dem ich gewohnt hatte.

Als dann der merkwürdige Prozess gegen verschiedene Führer des Demokratischen Kambodscha eingeleitet wurde, diskutierte man mit Khieu Samphans Advokaten, ob es sinnvoll für mich wäre, dass ich als Zeuge aufträte. Aber was konnte ich bezeugen? Dass sie sehr kenntnisreich war und ganz offensichtlich eine kamboschanische Patriotin war. Aber es ging ja um Massenmord, wofür sie vor Gericht gestellt wurde. Dass diese Anklage ebenso irreführend wie die gegen John Ball („När Adam grävde och Eva spann, vem var då adelsman?“ [Als Adam grub und Eva spann, wer war da ein Adelsmann?) Ein englischer Thomas Münzer! D. Ü.] in Coventry, die dazu führte, dass er vor Richard II am 15. Juli 1381 hingerichtet wurde, worüber man nicht schreiben durfte und darf.

Denn sicher wurden Leute getötet. Damals wie heute. (Wie und weshalb, darüber habe ich geschrieben. Unter anderem aus Indien.) Aber für das große Töten damals war Washington verantwortlich. Aber den Untersuchungen der „killing fields“, die Washington finanzierte, war ausdrücklich verboten, auf irgendeine Weise das große Töten zu untersuchen, das vor 1975. Das, wofür die USA verantwortlich waren.

Pol Pot und seine Genossen um ihn war in dem Sinne ebenso vorbildlich gerecht wie John Ball.



Quelle - källa - source

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen