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Franklin Lamb
20. Oktober 2012
Die halbe Stunde Fahrt von der libanesischen Grenze bei Maznaa bis
Damaskus ist immer angenehm auf der breiten, gut asphaltierten und
unterhaltenen Schnellstraße zwischen der Hügellandschaft mit großen
Herden von Ziegen und Schafen, die träge den Verkehr unten
beobachten. Als ich die Herden genauer anschaute, bemerkte ich, dass
mir die Zahl der Hirten ungewöhnlich groß erschien, um die Herden
zu hüten. Beim zweiten Blick merkte ich, dass es Soldaten waren, die
zwischen und hinter den Büschen die Straße im Blick hatten.
Die erhöhte Sicherheit in Damaskus hat hunderte von shabab (Junge
Leute), Volkskomitees, Nachbarschaftskomitess
und wahrscheinlich auch Geheimagenten jeden Alters in Aktion treten
lassen, um buchstäblich hunderte Checkpoints im zentralen Damaskus
und in den Vororten zu bemannen. Manchmal hat man das Gefühl, dass
man alle 50 m auf einen stößt.
Damaskus ist gegenwärtig ruhig mit wenigen Ausnahmen wie die
Stadtteile Tadamon, Al-Qadam und Al-Asali, wo sporadische
Zusammenstöße in den vergangenen zwei Tagen von Freunden diskutiert
werden. Wie in Libyen im vergangenen Sommer sind viele Medienberichte
keineswegs genau, wenn sie diese Stadt als chaotisch und mit einer
Bevölkerung in Panik beschreiben. Vergangene Nacht war ich mit
Freunden in der Altstadt in einem Restaurant bis 1 Uhr und dann
fuhren wir in Damaskus herum und da waren immer noch etliche Cafés
offen, obwohl nicht so viele, wie vor der Krise, wie uns die Bewohner
erzählten.
Es werden auch viele Sicherheitsmaßnahmen um Regierungsgebäude
herum strikt angewendet; es wurden auch Zementwälle errichtet und
nahe gelegene Straßen wurden gesperrt, was Verkehrsstaus verursachte.
Die Syrier nehmen es mit der Sicherheit sehr genau. Ein
Regierungsbeamter sagte mir: „Sehen Sie, wenn sich jemand vornimmt,
ein Selbstmordbomber zu werden, dann ist es schwierig , ihn zu
stoppen. Aber wir tun unser Bestes und führen viele
Autodurchsuchungen auf's Geratewohl durch.“ Eine
Checkpoint-Erfahrung hier ist nicht wie im Libanon, wo normalerweise
ein herankommender Fahrer das Fenster runterdreht, kurz grüßt mit
einem grinsenden „kefack habibi?“ (Wie geht’s, meine Lieber?)
und der oft schläfrige Soldat das Fahrzeug einfach durchwinkt.
Dagegen werden an syrischen Checkpoints high tech Waffen und
Sprengstoff-Suchgeräte eingesetzt und die meisten Autos werden
untersucht, von unten bis oben. In der von Regierungsgebäuden und
Wohnungen von hohen Beamten werden auch Metalldetektoren eingesetzt.
Gestern hatte ich eine Erfahrung mit einem Metalldetektor und mit
etwa einem halben Dutzend Sicherheitsbeamten. Als ich durch das Gerät
ging – wie auf den Flughäfen - nachdem ich meine Taschen geleert
und das Telefon abgelegt hatte - ging ein lauter Alarm los. Ich sollte
nochmals durchgehen. Mit demselben Ergebnis. Als dann drei Leute mit
den neuen Handgeräten kamen, löste ich wieder den Alarm aus.
Schließlich ging mir ein Licht auf.
Ich hatte vor kurzem einen Pacemaker einige Zentimeter unter der
Brustwarze eingesetzt bekommen. Und plötzlich erinnerte ich mich,
dass mein Kardiologe in Beirut mich davor gewarnt hatte, durch einen
Metalldetektor zu gehen oder ein Handgerät näher als einen halbe
Meter an meinen Pacemaker heranzulassen, weil es sonst elektronische
Probleme geben könnte.
Zu spät für diese Vorsicht. Ich öffnete mein Hemd und deutete
auf die zehn Quadratzentimeter Erhöhung auf meiner Brust und sagte
„Batterie“. Da niemand verstand, hoben zwei der Leute ihre
Kalashnikows und es wurde brenzlig. Später sagten sie mir, dass sie
ziemlich sicher gewesen waren, es mit einem weiteren
Selbmordattentäter zu tun zu haben, die Damaskus plagten, und dass
die Beule ein Bombe wäre.
Die Situation wurde entschärft durch einen Mann in mittleren
Jahren, der offenbar der Kommandeur der Truppe war. Als er auf mich
zukam – ich stand unterdessen mit erhobenen Händen da – sagte
ich: „Batterie! Batterie!“ Er starrte auf meine Brust und
antwortete: „Yalla, batterie, cardio, nam?“ (Ah, für Ihr Herz,
nichtwahr?) Nach weiterem Gerede und der Passkontrolle konnte ich
weiterfahren. Heute Morgen hat mir eine junge Dame am Hotelempfang
freundlicherweise einen Zettel auf Arabisch geschrieben, dass ich
einen Pacemaker habe, der wahrscheinlich Alarm bei Metalldetektoren
auslösen könne. Wenn niemand meiner Traumärztin im Hisbollah
Herzzentrum in Beirut einen Tip gibt, wird sie mich mich beim
nächsten Termin nicht ausschelten.
Sanktionen als willkürliche Waffen gegen Zivilisten
Die Legalität der vom Westen auferlegten Sanktionen gegen Syrien
und Iran wird sowohl an der Uni in Damaskas als auch von Beamten und
hiesigen NOGs diskutiert. Ein recht überzeugendes Argument ist, dass
dieser Typ von Saktionen nach internationalem Gewohnheitsrecht
illegal ist und, wie mit dem Verbot von Splitterbomben im Jahr 2008,
auch durch eine internationale Konvention verboten werden sollte. Und
zwar weil diese Sanktionen politisch sind und offensichtlich einen
Regime-Wechsel bezwecken sollen. Sie sind auch durch und durch
willkürlich und zielen und gefährden die zivile nicht-kämpfende
Bevölkerung, insbesondere die armen, jungen, kranken und alten
Bürger.
In Washington und Europa wird behauptet, dass die
abgestuften Sanktionen nur die Führung des Regimes und seine Politik
treffen. Das ist Nonsense. Wie in Irak, wo die von den USA
organisierten Sanktionen nachweislich die Hauptursache für den Tod
von nahezu einer halben Million Kindern waren, sind auch hier die wirklich
Betroffenen nicht die Regierungsbeamten.
Die gegen Syrien und Iran angewandten Sanktionen verletzen auch
Art. 2 (Absatz 4) der UN-Charta, der vorschreibt, dass alle
Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen sich der Drohungen
und Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder die
politische Unabhängigkeit irgendeines Staaten oder sonstiger
Methoden, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar
sind, enthalten sollen.
In Diskussionen mit Beamten, aber auch mit beliebigen Bürgern von
Damaskus – Ladenbesuchern und Angestellten in einem zentralen
Supermarkt – und Studenten ist es möglich, eine ziemlich gute
Vorstellung davon zu bekommen, wie die westlichen Sanktionen die
Familien hier treffen.
Eine progressive Journalistin, die Teilzeit arbeitet bei einer
US-NGO und der Assad-Regierung gegenüber kritisch ist, aber noch
kritischer gegen die desperaten Rebellengruppen, teilte mir ihre
ziemlich representative Analyse der gegenwärtigen Situation in
Damaskus hinsichtlich der Sanktionen mit:
„Ich denke, die unserem Land auferlegten Sanktionen haben eine enorme
Auswirkung in der gegenwärtigen Krise. Die Preise sind im
Schnitt um wenigstens 40 % gestiegen, besonders Konsumwaren und
Grundnahrungsmitel wie Fleisch, Milch, Brot, Gemüse, Früchte etc.
Eier und Hühner sind um das Doppelte gestiegen und sind in kleinen
Läden gar nicht zu haben. An manchen Tankstellen in manchen
Stadtteilen gibt es lange Schlangen. Die Sanktionen haben auch viele
Leute gezwungen, ihre Fabriken in Aleppo und Damaskus wegen Mangel
an Rohstoffen zu schließen und das treibt die Preise hoch. Meine
Tochter arbeitet in einem Zubehörgeschäft für Haushaltswaren. Sie
müssen Sachen aus der Türkei importieren. Kleider sind auch teurer
geworden, weil türkische Waren nicht hereinkommen. Ich glaube, ihr
Unternehmen wird bald schließen. Sie können mit ihr sprechen, wenn
es Sie interessiert. Mein Sohn erwägt wegzugehen, weil er keine
Arbeit findet. Junge Männer hier sind sehr frustriert und manche der
Arbeitslosen schließen sich Gangs an und werden von Jihad-Gruppen
angeheuert, die ihnen Geld und Waffen und Indoktrinierung bieten. Als
Mutter mache ich mir große Sorgen, dass er Probleme bekommt, aber
junge Leute hören ja nicht. Die Krise hat auch Unternehmer
gezwungen, Leute zu entlassen, um die Kosten zu drücken. Viele
Händler haben das Land bereits verlassen und haben ihr Geld auch
rausgebracht. Manche, vor allem Kriegstreiber haben von der Krise
profitiert. Schmuggelwaren sind teuer, wenn es welche gibt. Die
Sanktionenn haben die gewöhnlichen Leute getroffen, mehr als das
Regime. Uns geht es sehr viel schlechter als vor 20 Monaten.“
Was mich gestern abend bekümmert hat, war, dass ein
Geschäftsmann, mit Verbindungen zur Führung, mir versicherte: „Wir
können zehn Jahre kämpfen, um Al Qaida und die Fanatiker von
Damaskus fernzuhalten. Mach dir keine Sorgen, mein Freund.“
Keine Sorgen? Ich war sprachlos. Denn genau am 12. August 2011 hat
ein Freund genau dieselben Worte zu mir gesagt, Khaled Kane, ein guter
Mann und damals stellvertretender Außenminister von Libyen. Zehn
Tage später, nicht zehn Jahre, fiel Tripolis in die Hände der
Rebellen. Dann folgte Verhaftung, Folter, und jetzt schmachtet Khaled
mit schlechter Gesundheit in einem Gefängnis in Misrata.
Quelle - källa - source
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