Dienstag, 23. Oktober 2012
Thomas Sankara: ein afrikanischer Führer mit einer Botschaft für Europa
Anlässlich des 25. Jahrestages der Ermordung Sankaras argumentiert Nick Dearden, dass wir uns seiner erinnern müssen, um die vorherrschenden Ansichten über Afrika zu hinterfragen und unsere eigene Schuldenkrise in Europa zu bekämpfen.
Übersetzung: Susanne Schuster
Mit der Ermordung von Thomas Sankara, Präsident des umbenannten Staates Burkina Faso, am 15. Oktober 1987 fand eine Revolution ihr plötzliches und blutiges Ende. In den Jahren nach Sankaras Ermordung – durch seinen einstigen vertrauten Freund Blaise Compaoré, der Burkina Faso bis heute führt – wurde seine Revolution aufgehoben und das Land wurde ein weiteres afrikanisches Lehensgut des Internationalen Währungsfonds. Doch für einen kurzen Zeitraum von 4 Jahren war Burkina Faso ein leuchtendes Beispiel dafür, was sogar in einem der ärmsten Länder der Welt erreicht werden konnte.
Sankara war ein Unteroffizier in der Armee Obervoltas, eine ehemalige französische Kolonie, verwaltet als Quelle billiger Arbeitskräfte für die benachbarte Elfenbeinküste zum Vorteil einer winzig kleinen herrschenden Klasse und ihrer Schutzherren in Paris. Als Student in Madagaskar wurde Sankara von den dort sich ereignenden Demonstrations- und Streikwellen radikalisiert. Im Jahr 1981 wurde er in die Militärregierung in Obervolta berufen, doch seine offene Unterstützung für die Befreiung des einfachen Volkes in seinem Land und im Ausland führte schließlich zu seiner Festnahme. Im August 1983 wurde er von einem erfolgreichen Staatsstreich, angeführt von seinem Freund Blaise Compaoré, im Alter von nur 33 Jahren an die Macht gebracht.
Sankara sah seine Regierung als Teil eines allgemeineren Befreiungsprozesses seines Volkes. Sofort rief er zu Mobilisierungen und Komitees zur Verteidigung der Revolution auf. Diese Komitees bildeten die Grundlage zur Teilhabe des Volkes an der Macht. Andererseits wurden politische Parteien aufgelöst, denn sie wurden von Sankara als Vertreter der Kräfte des alten Regimes angesehen. Im Jahr 1984 benannte Sankara das Land in Burkina Faso (Land der aufrechten Menschen) um.
Sankara säuberte die Regierung von Korruption, kürzte die ministerialen Gehälter und eignete sich eine einfachere Lebensweise an. Die Journalistin Paula Akugizibwe sagte, Sankara „fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit, bevor er auf Drängen seiner Regierung auf einen Renault 5 umstieg – eines der billigsten Automodelle, das es zu der Zeit in Burkina Faso gab. Er wohnte in einem kleinen Lehmhaus und trug nur Kleidung aus Baumwolle, die in Burkina Faso erzeugt, gewebt und genäht war.”
Die Übernahme von lokaler Kleidung und lokalem Essen war ein zentraler Bestandteil von Sankaras Wirtschaftsstrategie, um das Land der westlichen Beherrschung zu entreißen. Von ihm stammt dieser berühmte Kommentar:
„Wo ist der Imperialismus? Den Imperialismus seht ihr auf euren Tellern. Importierter Reis, Mais und Hirse, das ist Imperialismus!”
Seine Lösung war, selbst Nahrungsmittel anzubauen. „Verbrauchen wir nur, was wir selbst anbauen!“ Die Ergebnisse waren unglaublich: eine eigene Nahrungsmittelversorgung in nur 4 Jahren. Der ehemalige UN- Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler sagte, die landwirtschaftliche Produktivität boomte durch ein Programm aus massiver Landumverteilung, Dünger und Bewässerung: „Hunger gehörte der Vergangenheit an.“
Ähnliche Fortschritte wurden in den Bereichen Gesundheit und Bildung erzielt: Millionen Kinder wurden geimpft und die Analphabetenrate von mehr als 90 % bekämpft. Mit dem Bau einer grundlegenden Infrastruktur wurden Verbindungen im Land geschaffen. Ressoucen wurden nationalisiert und die lokale Industrie wurde unterstützt. Millionen Bäume wurden gepflanzt in einem Versuch, die Ausbreitung der Wüste zu stoppen. All dies war verbunden mit einer riesigen Mobilisierung des Volkes in Burkina Faso, das damit begann, sein Land mit den eigenen Händen aufzubauen – was Sankara als essenziell ansah.
Es hat kaum einen Revolutionsführer gegeben, der so viel Wert legte auf die Befreiung der Frauen, wie Sankara. Er sah die Emanzipation der Frauen als wesentlich an, um die Ketten des Feudalsystems zu sprengen, in dessen Griff sich das Land befand. Dazu gehörte die Rekrutierung von Frauen in alle Berufszweige, einschließlich Militär und Regierung. Dies brachte die Beendigung von Zwangsehen mit sich. Und es bedeutete, dass Frauen in der revolutionären Mobilisierung auf Graswurzelebene eine zentrale Rolle spielten. „Die Emanzipation der Frauen ist für uns nicht ein Akt der Wohltätigkeit oder getragen von einer Welle des Mitleids. Sie ist vielmehr eine grundlegende Notwendigkeit für den Triumph der Revolution.” Er sah den Kampf der burkinischen Frauen als „Teil des weltweiten Kampfes aller Frauen“.
Sankara war mehr als ein visionärer nationaler Führer – von größtem Interesse für uns heute ist vielleicht die Art und Weise, in der er internationale Konferenzen als Plattform benutzte, durch die er seine Amtskollegen dazu aufforderte, gegen die großen strukturellen Ungerechtigkeiten, mit denen Länder wie Burkina Faso zu kämpfen haben, einzutreten. Mitte der 1980er Jahre bedeutete das, zur Schuldenfrage die Stimme zu erheben.
Sankara versuchte auf der Konferenz der Organisation Afrikanischer Einheit 1987, die anderen afrikanischen Führer davon zu überzeugen, ihre Schulden nicht anzuerkennen. Er sagte den Delegierten: „Schulden sind eine geschickt geplante Wiedereroberung Afrikas. Es ist eine Wiedereroberung, die aus jedem von uns einen Finanzsklaven macht.” Als er sah, wie einer nach dem anderen dieser Führer zu westlichen Regierungen ging, um eine kleine Umstrukturierung ihrer Schulden zu erhalten, drängte er auf gemeinsames, öffentliches Handeln, das ganz Afrika von Beherrschung befreien würde. „Wenn Burkina Faso sich alleine weigert, die Schulden zu bezahlen, bin ich auf der nächsten Konferenz nicht mehr da.“ Tragischerweise erfüllte sich seine Ahnung.
Natürlich funktionierte nicht alles was Sankara probierte. Am umstrittensten war seine Reaktion auf einen Lehrerstreik, als er Tausende von Lehrern entließ und sie durch eine Armee von Bürgerlehrern ersetzte, die oft überhaupt keine Qualifikationen besaßen. Sankaras System der Revolutionsgerichte wurde von Leuten mit persönlichen Ressentiments missbraucht. Er verbot Gewerkschaften wie auch politische Parteien.
Einige dieser Maßnahmen in Verbindung mit einer rasanten sozialen Transformation verschafften seinen Feinden Spielraum. Sankara wurde in einem von Blaise Compaoré durchgeführten Staatsstreich ermordet. Es scheint klar, dass es Unterstützung von außen gab, einschließlich von der französischen Marionette Félix Houphouët-Boigny, Präsident der Elfenbeinküste. Sankaras Revolution wurde von seinem einstigen Weggefährten zurückgerollt und aus Burkina Faso wurde ein weiteres afrikanisches Land, dessen Wirtschaft gleichbedeutend ist mit Armut und Hilflosigkeit.
Außerhalb Afrikas ist Sankara heute nicht gut bekannt – sein Charakter und seine Ideen entsprechen einfach nicht der Vorstellung von Afrika, die im Westen in den letzten 30 Jahren konstruiert worden ist. Es wäre schwierig, in der ganzen Welt einen weniger korrupten und eigennützigen Führer zu finden wie Thomas Sankara. Er entspricht allerdings auch nicht dem Bild der „würdigen Armen“ in Afrika, das von Wohltätigkeitsorganisationen gerne gemalt wird. Sankara bezog deutlich Stellung zur Rolle der westlichen Hilfe wie auch zur Rolle der Schulden in der Beherrschung Afrikas:
„Die Wurzel des Übels war politisch. Die Behandlung konnte daher nur politisch sein. Natürlich unterstützen wir Hilfe, die uns dabei hilft, Hilfe nicht mehr zu brauchen. Doch im Allgemeinen hat die Entwicklungshilfepolitik nur darin resultiert, uns zu verwirren, uns unterzujochen und uns des Verantwortungsgefühls für unsere eigenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Angelegenheiten zu berauben. Wir haben es gewagt, neue Wege zu beschreiten, um ein größeres Wohlbefinden zu erreichen.”
Die Verbesserungen im Leben des Volkes in Burkina Faso infolge der Politik Sankaras waren erstaunlich, doch er wäre nicht überrascht zu erfahren, dass diese Politik von westlichen Regierungen und Vertretern, die behaupten, genau diese Verbesserungen zu wollen, systematisch untergraben wurde.
Sankaras Worte sind heute vielleicht am relevantesten für unsere eigene Krise in Europa. Sie werden wiederholt von denjenigen in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland, die kaum etwas von ihm gehört haben:
„Diejenigen, die uns die Schulden aufgebürdet haben, spielten, als wären sie in einem Kasino. Man spricht von einer Krise. Nein. Sie spielten. Sie verloren… Wir können die Schulden nicht zurückzahlen, weil wir nichts haben, womit wir sie bezahlen könnten. Wir können die Schulden nicht zurückzahlen, weil sie nicht die unseren sind.”
Thomas Sankara glaubte fest an die Menschen – nicht nur die Menschen in Burkina Faso oder Afrika, sondern die Menschen in der ganzen Welt. Er glaubte, dass Veränderung kreativ und nonkonformistisch sein müsse, ja, sogar „eine gewisse Portion Wahnsinn“ enthalte. Er glaubte, radikale Veränderungen würde es nur dann geben, wenn Menschen überzeugt und aktiv wären, nicht passiv und erobert. Und er glaubte, die Lösung sei politisch – kein Akt des Mitleids. Nie war Sankara so relevant für unser Streben nach Gerechtigkeit in Europa und weltweit.
Quelle - källa - source
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Thomas Sankaras gibt es wie sand am mehr aberes gibt auch ein Meer der sie weg spült
AntwortenLöschenein schöner artikel
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