Einar Schlereth
2. April 2014
Sisi und Papst Tawadros II |
Es war ja so unschön, als dieser Generalstabschef unter dem Diktator Mubarak den ersten in Ägypten freigewählten Präsidenten Mursi absetzte, ins Gefängnis warf und auch noch den Prozess machte, wobei er nebenbei hunderte (offiziell, tausende inoffiziell) kurzer Hand erschoss oder mit Panzern platt walzte. Das Volk hatte sich mal wieder einen falschen Führer gewählt - einen aus der Moslem-Bruderschaft - der Washington absolut nicht passte und auch nicht dem Militär.
Das haben die USA zwar nicht als einen Staatsstreich verurteilt, nicht doch, wie käme man dazu, sondern man drohte nur mit dem Finger und strich einen Teil der 1.3 Mrd. Dollar jährlich für die ägyptische Armee. Wichtige Ersatzteile hat man natürlich weiterhin unter der Hand geliefert. Man kann die Kollegen doch nicht einfach ungeschützt der Gefahr eines lange fälligen Volks-Aufstandes aussetzen.
Aber nun wird endlich ein Strich über die Vergangenheit gezogen und man schaut vorwärts. Sisi hat nun mit seinem Anschluss an die Bomber-Koalition gegen Jemen seine Feuerprobe als Demokrat bestanden und nun fließen die Gelder wieder wie gewohnt und Waffen noch und nöcher. F-16 Fighterjets und massenhaft M1A1-Abrams-Kampfpanzer und Harpoon-Raketen - alles, was eine Demokratie halt so dringend braucht.
Sisi ist also wieder in seine alte Rolle als US- und Zionisten-Knecht geschlüpft. Er hat gehorsam den Streit mit Sudan und und Äthiopien um das Nilwasser beigelegt, denn Addis Abeba ist schließlich der wichtigste US-Polizist in Afrika. Und den Zionisten hat er einen echten Freundschaftsdienst erwiesen, indem er deren furchteinflößenden palästinensischen Feinden in ihrem Gaza-Ghetto alle Tunnel gesprengt hat, mit deren Hilfe sie bislang einigermaßen überleben konnten.
Die einheimische Opposition behandelt er nach dem Muster der USA, die ihn als großen "charismatischen" Staatsmann ansehen - wie in diesem Artikel von Raymond Stock - der sicher auch seine Fehler hat, wie etwa: ja, es hat Missbrauch gegeben, auch das 'Verschwinden' von Oppositionellen (aber nur angeblich!!!), das Verbot unangemeldeter Demos, unwahrscheinliche Anklagen gegen Professoren und liberale Aktivisten; massenhaft Todesurteile; Strafen fürs Sitzenbleiben, wenn die Nationalhymne gespielt oder für Verbrennen der Fahne; Satire-TV-Programme werden gestrichen (das passiert ja auch in Frankreich) und selbst ausländische Journalisten werden zu Gefängnis verurteilt. Aber das alles ist ja nicht der Rede wert.
Er hat schließlich auch gehorsam seine Luftwaffe in Libyen gegen einen Präsidenten eingesetzt, der nicht von den USA gutgeheißen wurde. Anlass bot die Enthauptung von 20 ägyptischen Gastarbeitern, die Kopten waren. Es tauchten im nachhinein allerdings Zweifel auf, dass die Geschichte gefakt war.
Sisis Wirtschaftspolitik wurde von Christine la Garde gelobt, Chefin des IWF, und da weiß man, was das heißt. Die Eckdaten haben sich nach der schlimmsten Krise seit 1930 gebessert: Arbeitslosigkeit ist auf knapp 14 Prozent gesunken, Subventionen für Lebensmittel und Gas zum Heizen und Kochen wurden gestrichen, ausländische Investionen sind stark angestiegen. Das übliche neocon-Programm also. Aber der Tourismus ist noch nicht wieder auf seinem alten Stand von fast 15 Millionen, sondern fiel im vorigen Jahr auf unter 10 Millionen.
Wie es den Menschen auf dem Lande geht, vor allem den Fellachen - die Bauern und eigentlichen Nachfahren der Ägypter - den vielleicht am meisten ausgebeutetsten Bauern auf der Welt, darüber habe ich nichts gefunden. Aber das war schon immer so, dass man ihnen keine Beachtung schenkt, obwohl sie 80 Prozent der ägyptischen Bevölkerung stellen und schließlich großenteils alle 84 Millionen ernähren sowie 15 Prozent des Exports erwirtschaften - allerdings auf Kosten des einheimischen Marktes. Die abgrundtiefe Verelendung, die ich dort zu sehen bekam, beruht vor allem darauf, dass es niemals eine richtige Landreform gegeben hat bis auf zaghafte Versuche unter Nasser, die aber unter Sadat rückgängig gemacht wurden. Sie werden also teils noch von Feudalherren und teils von Großgrundbesitzern waidlich ausgebeutet. Ich fürchte, dass Sisi daran auch nicht rütteln wird.
Eins kann man Sisi zugutehalten. Er ist der erste ägyptische Präsident, der eine koptische Neujahrsmesse zusammen mit Papst Tawadros II in der orthodoxen Kathedrale in Kairo (siehe oben), zu der Nasser den Grundstein legte, besucht hat. Er fördert aktiv das friedliche Zusammenleben zwischen Kopten und Moslems, wie es seit Jahrhunderten herrschte.
Außerdem ist er in einer Rede in der Al-Azhar-Universität - die seit 988 Zentrum islamischer Gelehrsamkeit ist - mit den Klerikern ins Gericht gegangen. Er sagte:
"Ich richte mich an die religiösen Kleriker. Wir müssen scharf nachdenken über das, was vor uns steht - ich habe mich dazu bereits mehrfach geäußert. Es ist unvorstellbar, dass das Denken, das wir so heilig halten, die Ursache sein soll, dass die ganze 'Umma' (die Gesamtheit moslemischer Gläubiger) eine Quelle der Angst, Gefahr, von Tod und Zerstörung für den Rest der Welt sein soll. Unmöglich!
Jenes Denken - ich sage nicht 'Religion', sondern 'Denken' - jener Corpus von Texten und Ideen, die wir über die Jahre für heilig erklärt haben bis zu dem Grad, dass es fast unmöglich ist, davon abzuweichen, stellt uns in Widerspruch zur ganzen Welt. Die ganze Welt ist dagegen!
Ist es möglich, dass 1.6 Mrd. Menschen (Moslems) die übrige Weltbevölkerung - das sind 7 Milliarden - töten wollen, damit sie selbst leben können? Unmöglich!
....
Ich sage und wiederhole, dass wir eine religiöse Revolution brauchen. Ihr, Imame, seit verantwortlich vor Allah. Die ganze Welt ... wartet auf euren nächsten Schritt ... weil diese Umma zerrissen wird, zerstört wird, verloren ist - und sie geht verloren durch unsere Hände."
Hiermit knüpft Sisi praktisch an die 1920-er Jahre an, als Al-Azhar bereits einmal im Zusammenhang mit der Demokratisierung und Radikalisierung der ägyptischen Bevölkerung mit der Erneuerung des Islam begann, was Auswirkungen bis nach Indonesien hatte. Aber auch diese friedliche, progressive Bewegung wurde von den Engländern, die zu keinerlei wirklichen Reformen bereit waren, blutig niedergeschlagen. Vielleicht hat Sisi hiermit einen wichtigen Impuls gegeben, was ihm bei Allah gewiss gutgeschrieben wird.
"einen aus der Moslem-Bruderschaft - der Washington absolut nicht passte"
AntwortenLöschenich bin verwirrt, wird hier nicht immer behauptet, die usa würden islamisten unterstützen?
Mal passt es ihnen, mal nicht. Das müsstest du doch wissen.
AntwortenLöschenwarum passt es ihnen in einem fall und in dem anderen nicht?
LöschenNa ganz einfach: Wer nach der US-Pfeife tanzt, der passt. Alle anderen nicht. Es ging nie um Religion, sondern nur um Geopolitik - Macht und Wirtschaftsinteressen.
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