Sonntag, 4. Mai 2014

NACHBEMERKUNG ZUR PETERSBURG-REISE sowie das Video DIE BLOCKADE LENINGRADS (Piter IX)

Einar Schlereth
4. Mai 2014

Spielplatz im Hinterhof Nr. 3 des Nevsky Prospekts 72

Mehrmals hatte ich mir eine Notiz gemacht zum Straßenbild in Petersburg und zwar in Bezug auf die Kleidung der Menschen, aber regelmäßig vergessen, dazu etwas zu sagen. Das ist nämlich wirklich beeindruckend, weil es weit weniger uniform ist als bei uns. Und  da denke ich nicht an die zuweilen exotische Kleidung von asiatischen Minderheiten, sondern an die der russischen Bevölkerung im allgemeinen.

Es wird wahrlich alles getragen: Herren in tadellosen Anzügen mit blütenweißem Hemd und Krawatte, Frauen in schicken Modellkleidern; Jeans in allen Varianten, äußerst selten die Sorte, wo der halbe Arsch raushängt, was hier so in Mode ist; Mini-Mini-Röcke resp. Shorts, Leggings, knöchellange Röcke/Kleider/Mäntel, Hüte in unterschiedlichen Varianten, z. B. von Mädchen gern Herrenhüte und Klamotten, die aus Omas Mottenkiste stammen könnten. Und das in allen Farben. Frauen und junge Mädchen tragen die Haare selten kurz, meist halblang, lang bis superlang und oft geflochten und  kunstvoll auf dem Kopf drapiert. Hinzu kommt, der schöne, aufrechte Gang der Leute. Recht viele schauen einem in die Augen und manche schenken einem ein freundliches Lächeln.
Sehr bedauert habe ich natürlich, dass ich kein Russisch spreche und andererseits so wenig Russen Englisch oder Deutsch sprechen, so dass leider keine Gespräche zustandekamen. Auf der Heimreise hatte ich allerdings Glück. Beim Warten vor dem Finnischen Bahnhof auf einer Parkbank kam ich mit einem jungen Ökonomie-Studenten ins Gespräch, der recht gut Englisch sprach. Natürlich kam die Rede auf die Ukraine und die Krim. Vorsichtig erkundigte er sich nach meiner Einstellung. Dann war er beruhigt. Er fragte sich nur, warum der Westen diese Propaganda betreibe, die keiner glaubt. Der Westen hat sich einen Bärendienst erwiesen mit seinen ständigen, grotesken Lügen. Er hat erreicht, dass die allermeisten Menschen den westlichen Medien kein Wort mehr glauben. Der Truppenaufmarsch von NATO und USA an den russischen Grenzen, wobei man gleichzeitig Russland der Aggression beschuldigen, weil Russland es wagt, gewisse Verteidigungmaßnahmen auf dem EIGENEN Territorium zu treffen.

Später traf ich im Hostel in Helsinki eine junge Russin, die in ein Gespräch eingriff, das ich mit mit zwei Taiwanesen führte. Auch sie billigte die Politik Putins. Spannend wurde es auf der Fähre der Vikingline nach Stockholm, wo ich als Genossen in der Doppelkabine den Karelien-Russen Alexander bekam. Er sprach zwar sehr wenig Englisch und Deutsch, aber eine elementare Verständigung kam doch zustande. Vor allem, nachdem er irgendwie eine Flasche Rémy Martin herbeigezaubert hatte und meinte, wie müssten auf die Freundschaft trinken. Es zeigte sich, dass er ein 'Whites-only'-Mann war, ehemaliger Polizist und als Soldat in Tschetschenien gekämpft hatte. Danach Jura studierte und ein Büro für Zivilrecht hat. Einig waren wir uns nur, dass Deutschland und Russland im Sinne von Bismarck Freundschaft halten sollten. Und die Rückkehr der Krim fand er natürlich auch gut.

Nachdem die Cognac-Flasche geleert war, zu der er auch noch einen Brie-Käse und eine Wurst serviert hatte, hielt ich es an der Zeit, einen Kaffee zu trinken und eine Rauchpause einzulegen. Er wollte keinen Kaffee, also lud ich ihn zum Bier ein. Die Diskussion ging im Rauchsalon weiter, wurde aber seinerseits bei fortschreitenden Alkoholpegel nur noch auf Russisch geführt. Da ich nichts verstand, griff er sich einen baumlangen jungen Mann aus einer Gruppe, fragte ob er Englisch könne, was der bejahte, woraufhin er ohne Umschweife als Dolmetscher eingesetzt wurde. Dieser Jewgenij, 26 Jahre alt, mit guten Englisch-Kenntnissen, war ein kluger, nachdenklicher Mann, der die abstrusen Gedanken Alexanders auch ablehnte. Das Gespräch geriet auf philosophische Fragen wie objektive und subjektive Wahrheit.

Als Alexander Hilfe in Form einer Wodka-Flasche holen wollte, waren wir dagegen, einigten uns aber auf eine Flasche Rotwein, die Alexander sogleich besorgte. Dann setzten wir das Gespräch in unserer Kabine fort. Jewgenij interessierte sich für meine journalistische Tätigkeit und schaute sich meinen Blog an, sah die vielen Artikel zu Russland, woraufhin er sich die Adresse gleich in sein Handy legte. Es würde mich freuen, wenn er sich meldete. Natürlich konnten wir Alexander nicht überzeugen, der schließlich auf dem Bett umfiel und sofort leise zu schnarchen begann. Jewgenij und ich redeten noch eine ganze Weile weiter und teilten unsere Sorgen über die Kriegsgefahr, der die Welt gegenübersteht, bis auch wir bettreif wurden und uns herzlich verabschiedeten.

Nun muss ich nur noch von einem Versäumnis berichten, das ich sehr bedaure. Ich hatte ja alle Notizen und Tips meines Freundes Stefan auf dem Hauptkomputer liegen gelassen. Er hatte mir u. a. die 'Italienische Straße' oder 'Straße des Lebens' dringend empfohlen. Die Namen hatte ich nicht mehr im Kopf, versuchte aber mehrmals in Buchhandlungen und 'Touristen-Büros etwas zu erfahren. Aber niemand hatte die leiseste Ahnung.

Jetzt hat Stefan im Netz etwas Material gefunden - er selbst ist auch noch nicht dort gewesen. Hier ist ein kleines Video, in dem Maria Marchenko erklärt, was es mit dieser Straße auf sich hat. Es ist leider auf russisch, gibt uns aber eine Vorstellung von den ausgestellten Objekten. Auf der Seite sind noch ein paar kleinere Videos zu finden.

"Hier lagen Kulturinstitutionen, die während der gesamten 900 Tage-Blockade weiterarbeiteten. Vor allem die 'Musikalische Komödie', die nicht einen Tag geschlossen war. Und auch die berühmte Philharmonie, von der die sagenumwobene Aufführung der achten, sogenannten 'Leningrader Symphonie' von Schostakowitsch uraufgeführt wurde, die an der Front von riesigen Lautsprechern auch den deutschen Landsern zu Gehör gebracht wurden. [Es gibt die Aussage eines deutschen Soldaten: "Jetzt weiß ich, dass wir diese Stadt nie einnehmen werden."]

Auf dem Gelände dieser Straße wird militärisches und ziviles Material zusammen mit Bildmaterial ausgestellt wie z. B. hinter mir der berühmte LKW, der Brot über den gefrorenen Ladoga See transportierte. An den Häusern wurden im 1. Stock Holzläden angebracht und in den oberen Etagen die Fenster mit Papier zugeklebt, wie im Krieg zur Verdunkelung. Der Schnee hier ist im übrigen extra hertransportiert worden, um das Gefühl jener Jahre wiederzugeben." 

Alexander Isakov, der Chef des Projektes, sagte, dass es großer Überredung bedurfte, um Museen und Privatsammler zu überzeugen, uns Objekte für das Freilichtmuseum zu überlassen.
Maria Marchenkov berichtete weiter, dass es Stimmen gab, von denen das Projekt als unethisch verurteilt wurde, weil die Blockade immer noch eine gar zu schreckliche Erinnerung darstelle.  Aber alle Leute, mit denen wir gesprochen haben, haben das Projekt unterstützt und es gut geheißen."

Zum Abschluß hier noch ein Dokumentar-Video, das während der Blockade aufgenommen wurde, das einen zuweilen kaum glauben läßt, dass Krieg herrschte. Ich hatte mir auch völlig falsche Vorstellungen gemacht, da ich nicht wusste, wie groß das eingeschlossene Gebiet immerhin war. Die Wasserwerke und die Stromerzeugung funktionierten weiterhin, anders wäre das Überleben der Menschen, die fortlaufende Waffenproduktion - während der Belagerung wurden schließlich 4100 Panzer hergestellt - und der heroische Abwehrkampf gar nicht möglich gewesen.


Und hiermit endet meine St. Petersburg/Leningrad Story, d. h. nicht ganz - ich muss für Stefans Blogg noch einige dieser Artikel ins Schwedische übersetzen.

2 Kommentare:

  1. Ist das nicht schön?! Bei uns in Europa sind ,leider, grau-schwarze Bekleidung, besorgte Gesichter und kaum Lächeln...

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  2. ICH MUSS OFT ZUR TERAPIE,DIE KNOCHEN. VERSUCHE DORT LAUT STIMMUNG ZU MACHEN, ACH WAS SIND WIR DOCH WIEDER FROELICH UND GUTER LAUNE , MIT EINEM LAECHELN IM GESICHT. REAKTION 90% SCHAUT WEITER GRIESGREMIG DREIN. SAGE DAZU DAS DIE LEUTE ALLE SCHON FERTIG SIND, OB DER SITUATION IN DER EU. MASSIV BLOED BESTRAHLT, MIT 70% BESTRAHLUNG TAEGLICH.

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