Sonntag, 21. Juni 2015

Die Wiederauferstehung der kolumbianischen Bauern-Bewegung


Julian Cortés


12. Juni 2015
Aus dem Französischen: Einar Schlereth
FARC-Gebiete in Kolumbien mit 1.1 Mil. km² und 50 Mill. E.
Im Juni 2013 erschütterte ein Streik der Bauern das Land. Die traditionellen Medien haben über die Ereignisse mit den Augen des Repressions-Apparates berichet. Auf diese Weise wurde das kolumbianische Volk über die Straßenblockaden und den Nahrungsmangel in den Supermärkten unterrichtet. Nichts über die politischen und sozialen Inhalte des Streiks. Nichts über die furchtbare Repression. Die alternativen Medien und die sozialen Netzwerke erlaubten es jedenfalls, den Medienblock zu umgehen. Heute verfügen die kolumbianischen Bauern sogar über eigene Medien.
Erläuterungen:
Im Juni 2013 setzten hunderte Bauern aus der Region Catatumbo im Osten Kolumbiens eine der größten Bauern-Mobilisierungen der vergangenen Jahre. Sie besetzten die Straßen und die Schnellstraßen, um von der Regierung zu fordern: die Lösung der Krise in der landwirtschaftlichen Produktion; Besitzrecht über das Land; Anerkennung des Landes, das den bäuerlichen Gemeinden gehört; Teilnahme an der Bergbaupolitik in den bäuerlichen Gemeinden, die in  der Bergbauindustrie arbeiten; politische Rechte für die Bauern; soziale Investitionen in der Erziehung, der Gesundheit, dem Wohnungsbau und den öffentlichen Dienstleistungen sowie weitere Forderungen. Nach mehreren Wochen schlossen sich die Bauern aus anderen Regionen dem Streik an. Insgesamt wurden zwölf Regionen von der Bauern-Bewegung blockiert.
Protest gegen staatliche Gewalt

Zu der Zeit erzählten die traditionellen privaten Medien den kolumbianischen Bürgern ihre Version dessen, was sich auf dem Land abspielte. Aber ihre Story war sehr verschieden von der Realität und enthielt nicht die kleinste Analyse der sozialen Ursachen, der ökonomischen, historischen und politischen Hintergründe des Streiks. Die Journalisten berichteten ausschließlich über die blockierten Straßen, den Mangel in den Geschäften und das von den Demonstranten erzeugte Chaos auf den Straßen. Der Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzon behauptete im Fernsehen, was Millionen sahen, dass ein Teil der Demonstranten zurGuerilla gehörten und der Präsident Juan Manuel Santos gab vor den Kameras diesen Kommentar ab: „Der Streik der Bauern existiert nicht“ („El tal Paro no existe“).

Bei den Demonstationen gab es Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizisten sowie mit Soldaten der Arme. Die Journalisten der Privatmedien standen auf Seiten der Staatsmacht und die alternativen Medien auf Seiten der Bauern. Niemand wusste genau, was wirklich passiert auf den Schnellstraßen und dem Land. Bis eines Tages ein Bauer erschossen wurde und ein Journalist filmte, wie sein Blut auf den Asphalt strömte. Die alternative Prensa Rural stellte das Foto ins Netz, was auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Millionen Kolumbianer und auch Zuschauer in anderen Ländern konnten durch Facebook die Wahrheit sehen. Ein paar Tage später wurde wieder ein Bauer getötet, was sich öfters wiederholte. Am Ende war die Bilanz: 12 Tote, 485 Verwundete und 4 Verschwundene.


Die FARC hat einen hohen Prozentsatz an Frauen in ihren Reihen.
Und dies wiederholt sich heute in ganz Kolumbien als Resultat der jahrzehntelangen Medienmanipulationen der nationalen Eliten vor allem über das Fernsehen, da das Analphabetentum noch weit verbreitet ist. Der Inhalt der Fernseh-Sendungen mit ihren Nachrichten und Analysen werden von den Besitzern entworfen, finanziert und zensiert. Selbst über die Friedens-Verhandlungen zwischen Regierung und der Guerilla FARC (eine wichtige Frage für die Zukunft des Landes) wurde in den alternativen Medien im Internet mehr berichtet als durch die Massenmedien in privatem Besitz. Im Verlauf der zwei-jährigen Gespräche wurden die Sprecher der Guerilla öfter von den internationalen und alternativen Medien interviewt als von der heimischen Presse.

Bis jetzt habe ich erklärt, was sich ereignet hat, aber nun möchte ich euch mehr über die Frage der Unsichtbarkeit der Bauern-Bewegung in Kolumbien erzählen. Nach der Periode der spanischen Kolonisierung begannen die heimischen Eliten, die politische Macht zu ergreifen. Das Land wurde in verschiedene Kriege gestürzt, in denen zwei politische Parteien (die konservativen und die liberalen) um die Macht kämpften, während die Bauern als Soldaten in beiden Lagern starben und die Folgen der Kriege zu tragen hatten.

Die traditionellen feudalen Praktiken überlebten im Geist der neuen Eliten; die Bauern und Indios stellten die benachteiligten Klassen dar und Grundbesitz war die Hauptquelle des Reichtums. Nach den Anfängen des Kapitalismus stellten die Bauern eine Quelle von Arbeitern, während die Privatisierung des Landes fortfuhr, ein Mittel zur Vertreibung der Bauern in die Städte zu sein oder zur Urbarmachung neuer Landwirtschaftsflächen zum Überleben.

Das Entwicklungsmodell, das der Gesellschaft auferlegt wurde gründete sich auf die verdeckte Land-Enteignung der Bauern. In diesem Prozess der „Modernisierung“ wurden große Projekte extensiver Landwirtschaft sowie Mega-Projekte durchgeführt zum Nachteil der traditionellen Landwirtschaft. Dieses Phänomen wiederholt sich bis auf den heutigen Tag mit folgenden Konsequenzen: Dutzende Generationen von Bauern wurden enteignet und in bewaffnete Gruppen verwandelt und andere soziale Phänomene. Die Anwendung offizieller Gewalt gegen die Bauern-Bewegung ist auch eine der Ursachen für den gegenwärtigen bewaffneten Konflikt in Kolumbien gewesen.

Die Eliten, die Mittelklasse und die Stadtbewohner haben die Angewohnheit, Bauern und Indigene mit Verachtung als „alpargatudos“ (arme Teufel) zu behandeln und bis heute herrscht die Idee, dass Bauern „arm“ und „dreckig“ seien. Schlimmer noch: die Eliten haben nicht nur paramilitärische Gruppen geschaffen, die Bauern umbringen und ihr Land rauben, sondern sie verwandelten auch in den neuen Gesetzen den Begriff Bauer in „Landarbeiter“ , wodurch der soziale, kulturelle, historische und politische Kontext des Wortes 'Bauer' verlorenging.

Folglich kann man sagen, dass seit vielen Jahren ein Prozess „Bauernbeseitigung“ aus der Gesellschaft stattfindet unter Führung der Eliten, die lieber für ausländische als nationale Interessen arbeiten. Dieser Prozess, bekannt als „Akkumulation durch Enteignung“ (Harvey 2005) hat das Kapital der großen Landbesitzer vergrößert. Die Spekulation hat auch die Bodenpreise erhöht, bis sie derartige Höhen erreichten, dass eine traditionelle Bauernfamilie sie nicht bezahlen kann. Tatsächlich besteht ein Großteil der Wirtschaft des Landes aus Spekulation statt Produktion.

Seit vielen Jahren verhindern in Kolumbien wie in anderen Ländern die Medienbesitzer den Zugang zu wirklichen Informationen. Wie Leeuwis (2004) bestätigt, hat jeder „Eingriff in die Kommunikation immer moralische und politische Implikationen und kann zu politischen Zwecken benutzt werden, die Konflikte vertiefen“. Zum Beispiel werden die Menschenrechtsverletzungen an den Bauern in dem bewaffneten Konflikt in den Landwirtschaftszonen systematisch verschwiegen. Die Bauern sind die Opfer von bewaffneten Gruppen, was die Bauerngemeinden verurteilt haben. Selbst offizielle Institutionen haben bekräftigt, dass die Mehrzahl dieser Menschenrechtsverletzungen von der Armee und ihren verbündeten paramilitärischen Banden, die mit der Elite verbandelt sind, begangen werden.

Als Reaktion auf diese Situation und die Unsichtbarmachungdes täglichen Lebens der Bauerngemeinden hat César Jerez, ein anerkannter Bauernführer mit anderen Aktivisten vor 10 Jahren die erste Informations-Website über die Bauern-Gemeinden gegründet: Prensa rural (Ländliche Presse).

Nach einem Jahrzehnt nimmt die Prensa rural einen wichtigen Platz zur Unterstützung des Kampfes der Bauern-Bewegung ein, der Kampagnen zur Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen und der Vorstellung von Projekten, die von den Bauern-Organisationen entwickelt werden. Sie haben auch eine gedruckte Zeitschrift, „Tierra“ (Land) genannt, gegründet für die Leute, die nicht über Internet verfügen. Die wichtigste Arbeit, die von der Prensa Rural verwirklicht wurde, ist das wichtige Band zwischen dem Leben auf dem Lande und dem in den Städten, besonders dem städtischen und ländlichen Kampf. Die Informationen auf der Webseite behandeln auch andere soziale Kämpfe städtischer Organisationen, wie die der Studenten, der LGBTI-Gruppen, der Aktivisten für Unterkunft und der Bewegung für den Frieden und gegen den Krieg.

Außerdem gibt es Informationen über aktuelle Gesetze, die internationale Politik und lateinamerikanische Fragen, die regelmäßig veröffentlicht werden, um die von den Medien vernachlässigten Analysen zu präsentieren.

Schließlich ist die alternative Prensa rural ein wichtiges Instrument für die Gemeinden, die in ihren Regionen gegen das gängige Entwicklungsmodell kämpfen und die auf dem Land leben wollen trotz der Gewalt. Prensa rural hat die Art, wie die Leute in den Städten über die Bauernbewegung denken, verändert und sie hat den Stolz, Bauer zu sein, gestärkt.

Der alternativen Presse ist es gelungen, den Prozess der Bauernvernichtung in Kolumbien zu verlangsamen; und sie ist ein bedeutendes Instrument für die Landgemeinden, um ihre eigene Geschichte zu erzählen aus ihrem Blickwinkel. Es ist wahrscheinlich, dass sie eine wichtige Rolle in der Zeit nach dem Konflikt in den kommenden Jahren einnehmen wird.


Fußnoten:
1. Pachon Cesar. (Oct 14, 2014). Los medios y la protesta social. Documentary in the program of Canal Capital : “El tal campo no existe”. https://www.youtube.com/watch?v=6FU...
2. Leeuwis, C. (2004). Communication for Rural Innovation. Third Edition. Blackwell science. 
3. Harvey, D. (2005). The ’new’ imperialism : accumulation by dispossession. Oxford University Press
 
Quelle - källa - source

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